Sinfonie Nr.5
op. 47
«Kreative Antwort auf berechtigte Kritik»
UA 1937 Leningrad
spezielle Besetzung: 22 Bläser, 2 Harfen, Klavier, Triangel, Xylofon, Celesta
4 Sätze: Moderato — Allegretto — Largo — Allegro non troppo
«Mit acht nackten Paukenschlägen beendet man doch keine Siegessinfonie!»
Dies hat mir Yuri Ahronowitsch im August 1989 gesagt und auf den endlos schreienden Ton a der Holzbläser und Streicher hingewiesen, unter dessen Deckel die Trompeten die Drei-Ton-Folge aus dem Kopfmotiv des Satzes nach oben treiben.
Einleitung
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Die fünfte Sinfonie ist unter den 15 Sinfonien besonders interessant, weil sich Schostakowitsch nach der Aburteilung seiner zweiten Oper vor der Obrigkeit entschuldigen und die Anforderungen des «sozialistischen Realismus» erfüllen musste. Als «kreative Antwort eines sowjetischen Künstlers auf berechtigte Kritik» ist sie bezeichnet worden, enthält aber schon im sechsten Takt des ersten Satzes das damals noch nicht entzifferbare «Fischpredigt»-Zitat, das als «Ihr könnt predigen was ihr wollt, es nützt nichts» interpretiert werden kann. In der Vierten hatte er es kreiiert, wo es bis zur Uraufführung 1961 unbekannt blieb. Und in der Fünften ist es erst 2021 enteckt worden. Ebenso hübsch ist der kleine Violin-Ländler im zweiten Satz, zu dem der Dirigent Kurt Sanderling (der Vater von Michael Sanderling) die Worte mitsang «Lieber Stalin, lieber Stalin, wir danken Dir für …». Und noch manch anderes ist in dieser Entschuldigungs-Sinfonie herauszuhören.
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«Mit acht nackten Paukenschlägen beendet man doch keine Siegessinfonie!»
Dies hat mir Yuri Ahronowitsch im August 1989 gesagt und auf den endlos schreienden Ton a der Holzbläser und Streicher hingewiesen, unter dessen Deckel die Trompeten die Drei-Ton-Folge aus dem Kopfmotiv des Satzes nach oben treiben. Schostakowitschs Erklärung war damals erst durch Volkovs «Zeugenaussage» bekannt: «Der Jubel ist unter Drohungen erzwungen worden wie in ‘Boris Godunow’. So, als schlage man uns mit einem Knüppel und verlange dazu: ‘Jubeln sollt ihr’». [1] Beinahe 80 Sekunden lang spielen etwa 70 Instrumentalisten (ohne Blechbläser und Schlagzeug) den gleichen Ton a – 253mal, wie Peter Gülke dies nachweist.[2]
Nach dem Prawda-Artikel «Chaos statt Musik» und dem Aufführungsverbot seiner zweiten Oper «Lady Macbeth von Mtsensk» war Schostakowitsch 1936 als «Volksfeind» bezeichnet und geächtet worden. Sein Einlenken auf die Linie des «Sozialistischen Realismus» hat er mit seiner fünften Sinfonie dokumentiert, die den Untertitel «Kreative Antwort eines Sowjetkünstlers auf berechtigte Kritik» erhalten hat. Der relativ einfache Aufbau der vier Sätze, vor allem aber die hochkonzentrierte und vermeintlich pompöse Siegesfeier konnte die Kritiker zufriedenstellen und dem Publikum enthusiastischen Beifall entlocken. Dass er es gewagt hat, in dieser für ihn höchstgefährlichen Situation einige Fallstricke einzuflechten, nötigt uns zu grosser Bewunderung, hat er doch einzelne Elemente aus der vierten Sinfonie, die er angesichts der bedrohlichen Lage vor der Uraufführung zurückgezogen hatte (oder obrigkeitlich befohlen zurückziehen musste), in seine fünfte hinübergerettet. Niemand konnte damals wissen, dass er schon im sechsten Takt eine Tonfolge eingesetzt hatte, welche nichts anders ausdrückte als «Ihr könnt predigen was ihr wollt, es nützt nichts». Denn in seiner Vierten ist die Anspielung auf Gustav Mahlers Lied «Des Antonius von Padua Fischpredigt» mehrfach eingesetzt und variiert worden; dies blieb aber bis 1961 völlig unbekannt, weil diese vierte Sinfonie erst 25 Jahre nach der Fertigstellung uraufgeführt werden konnte. Das Zitat der Fischpredigt hätte dann entdeckt werden können, aber es dauerte noch bis 2021, bis ich darauf stiess und es publizierte.[3] Dass es Schostakowitsch gleich zu Beginn seiner «kreativen Antwort auf berechtigte Kritik» wieder verwendet hat, grenzt an gefährliche Spitzbüberei und rückt dies in den Bereich des Galgenhumors. Das zweite Thema mit dem Zitat aus der «Habanera» von Georges Bizets Oper «Carmen» ist ebenso persönlich, denn es spielt auf Schostakowitschs erste Liebe an, als er 1923 krankheitshalber auf der Krim weilte und die gleichaltrige Studentin Tatjana Gliwenko (17) kennenlernte. In seinem ersten Klaviertrio (1923) hatte er schon diese «Habanera» zitiert.
Der zweite Satz erfüllt die Forderungen des «Sozialistischen Realismus» mittels Populärmusik, genauer mit einem mehrfach wiederholten Zitat aus der Oper «Im weissen Rössl» von Ralph Benatzky und einem kleinen Ländler für Violine solo. Diesen hat mir der Dirigent Kurt Sanderling im Interview mit folgenden Worten erklärt: Da gab es Festtagskonzerte für die Parteispitze – Staatskonzerte, die Balakschejew zu organisieren hatte und die nicht länger als eine Stunde dauern durften. Da musste ein Zigeunerensemble auftreten, ein Männerchor, die Don Kosaken und dann ein kleines Mädchen mit einem Blumenstrauss. Und das persifliert hier Schostakowitsch, wenn das Mädchen sagt «Lieber Stalin, lieber Stalin, wir Kinder der ganzen Sowjetunion verdanken dir das glückliche Leben, das wir haben. Wir wünschen dir Gesundheit.» Dann fällt das ganze Orchester ein und vermittelt lärmige, aber kontrollierte Lustigkeit. Kurz vor Schluss erklingt das Ländlermotiv nochmals, aber völlig plattgedrückt.
Das ist nicht so empfunden worden, sondern als gestische Metamorphose durch Sekundschritte und Chromatik ins Schwermütige[4] oder als eine einfache, aber umso raffinierter gestaltete melancholische Variante des Triothemas.[5]
Im dritten Satz, dem grossen Klagegesang, setzen sich zwei Tonfolgen im Ohr fest, die eine als in der Musikgeschichte bekannte «Seufzer»-Figur, die andere von Jacques Wildberger als «Bittgeste» bezeichnet. Ausserdem erklingen weitere Varianten des Fischpredigt-Motivs; einmal sogar im Fortissimo des ganzen Orchesters, was die «kreative Antwort» noch einmal karikiert.
Die Metronomangabe zu den Schlusstakten des vierten Satzes hat in der Vergangenheit oft zu Diskussionen geführt, da zwischen Leonard Bernsteins Aufnahme von 1945 und jener von Kirill Kondraschin 1959 grosse Differenzen waren: Bernstein spielte die Schlussphase doppelt so schnell. Die Diskussion hat sich inzwischen gelegt, da man die beabsichtigte Lähmung der Hörnerven durch das endlos erklingende Fortissimo-a erkannt hat. Hingegen hat mich Kurt Sanderling auf eine Aussage von Schostakowitsch aufmerksam gemacht, der ihm, dem jungen Dirigenten, geraten hatte: Nehmen Sie am Anfang die Viertel mit 132, das muss böse tönen; in der Partitur soll 88 bleiben, das hält die Zensur ruhig. Dieses erste Thema wird heute allgemein als «MacPherson-Thema» bezeichnet. Deshalb musste dessen merkwürdige Entstehungsgeschichte speziell dargestellt und als Anhang beigelegt werden («Die gestische Metamorphose der MacPherson-Tonfolge» im Anhang zur 4. Sinfonie). Aus dieser Tonfolge bezieht der ganze Schlusssatz die Energie. Völlig fremd wirkt deshalb der «energielose» Mittelteil mit der über 70 Takte durchgehaltenen Pendelbewegung, die aber im Puschkin-Zitat kulminiert, welche die Verfälschung eines Kunstwerks entlarvt. Lange wird es dauern, bis die Wahrheit ans Licht kommt, dann aber wird der Künstler, falls nicht genehm, den Weg zum Galgen tanzend hinter sich bringen: Das MacPherson-Thema schliesst nämlich direkt an dieses Puschkin-Zitat. Dann beginnt dieser endlose fff-Streicher- und Holzbläser-Akkord mit dem Klavier zusammen. Und auch die sieben Pauken-Schläge, die schon im zweiten Satz vorweggenommen worden sind, setzen jetzt ein und erhalten zum Abschluss, verstärkt durch die grosse Trommel, einen achten Schlag dazu – fff - und endlich hat man den Komponisten begriffen, der sich an den Kopf gegriffen hat: Das ist doch keine Apotheose. Man muss schon ein kompletter Trottel sein, um das nicht zu hören.[6]
[1] Solomon Volkow: Zeugenaussage. Die Memoiren des Dmitri Schostakowitsch. Albrecht Knaus-Verlag, Hamburg 1979, Seite 203 – auch Bernd Feuchtner hat in der ersten Edition seines Buches «Und Kunst geknebelt von der groben Macht» 1986, Seite 136 auf die Eröffnungsszene des «Boris Godunov» hingewiesen, während Krzystof Meyer in seiner Biografie bei Reclam Leipzig 1980, Seite 106 noch von einer «triumphalen, optimistischen Coda» sprach.
[2] Peter Gülke: Von geschriebenen Noten zu klingenden Tönen. Bärenreiter/Metzler, Kassel/Berlin 2024, Seite 237
[3] Jakob Knaus: Schostakowitsch dreht allen eine Nase. NZZ 28.08.2021
[4] Michael Koball: Pathos und Groteske – Die deutsche Tradition im symphonischen Schaffen von Dmitri Schostakowitsch. Berlin 1997, Seite 145
[5] Jacques Wildberger: Dmitri Schostakowitsch. 5. Symphonie d-Moll, München 1989, Seite 26
[6] Solomon Volkow: Memoiren, Seite 302