Sinfonie Nr.3

op. 20 «Der erste Mai»

UA 1930 Leningrad
spezielle Besetzung: 19 Bläser, Xylofon, 6 Schlagzeuger, gemischter Chor
In einem Satz: Allegretto

Auch diese dritte Sinfonie verrät schon im Titel, dass sie, wie die zweite, einem sozialistischen Ereignis gewidmet ist. Der «Tag der Arbeit» steht seit 1889 als wichtigster Feiertag im sozialistischen Kalender.

 

Einleitung

  • Vordergründig klingt vieles in dieser einsätzigen Sinfonie nach Festveranstaltung zum «Tag der Arbeit» in militärischem Stil. Ob hier alles so ernst gemeint ist wie es klingt, ist schwierig zu sagen. «Völker! Zum Sozialismus ist jeder Mai ein Schritt.» zumindest wirkt martialisch und scheint keinen Widerspruch zu dulden. Warum aber die Vogelstimmen, das Kikerikii und dann noch das Tam-tam mit zwei aggressiven Schlägen? Bei Schostakowitsch zeigt ein Fortissimo-Tamtam-Schlag meistens den Eintritt der schlimmstmöglichen Wendung. Kann und darf das in diesem Zusammenhang sein? Zwar wird im Orchester eine Art Hymne angestimmt, aber mit Schlagwerk und einem lautstarken Unisono grossmäulig abgemurkst und unbeholfen wirkende Fanfaren leiten zum finalen Jubelchor über.

  • Auch diese dritte Sinfonie verrät schon im Titel, dass sie, wie die zweite, einem sozialistischen Ereignis gewidmet ist. Der «Tag der Arbeit» steht seit 1889 als wichtigster Feiertag im sozialistischen Kalender. Schostakowitsch hat das Werk aber aus freien Stücken thematisch positioniert. Es war keine Auftragskomposition, wie es die zweite gewesen war. Sie ist aber auch nicht mehr so ambitioniert in ihrem kompositorischen Habitus. Er hat zwar noch an die kulturelle Freiheit in der jungen Sowjetunion am Ende der Zwanziger Jahre geglaubt und sich ein progressives Ziel gesetzt, aber nicht ausserhalb der Tonalität, sondern im Bereich der formalen Gestaltung: Eine Sinfonie, in der sich kein Thema wiederholt [1], eine Sinfonie in einem Satz ohne vorgezeichnete Struktur, allerdings mit einem Schlusschor, dessen Text der Komponist selber ausgesucht hatte. In der Aufführungspraxis hat es sich allerdings gezeigt, dass die meisten Dirigenten das Werk in vier, fünf oder sechs Sätze unterteilen.

    Die in diesem Zusammenhang verwendete Aufnahme mit Michael Sanderling und der Dresdner Philharmonie teilt das einsätzige Werk in fünf Abschnitte ein. Im ersten Satz werden nach einer idyllischen Einleitungsmusik mit zwei Klarinetten sechs Marschmuster «ausprobiert», das sechste wird als Thema für eine Art Fuge benutzt, das siebte ist ein «nackter Militärmarsch» mit Horn, Trompete und kleiner Trommel. Solche Rhythmus-Übungen hat Schostakowitsch schon in seiner Filmmusik «Das neue Babylon» (1929) in saloppem Tanzstil vorgeführt. Was haben in diesem Umfeld aber Vogelstimmen und ein deutlich vernehmbares «Kikerikii» zu bedeuten? Hier wird in der Fachliteratur oft eine fröhliche Erst-Mai-Festivität gehört, die mit der Frische und Ungezwungenheit der Jugend von den Menschen seiner Zeit berichtet. [2] Der mit ppp-Paukenwirbel einsetzende Anschluss wird erst mit einem makaber dissonanten Schrei (einer Krähe?) richtig hörbar! Und das «Kikerikii» wird hier nochmals, aber verfremdet eingesetzt, als Abschluss einer jetzt harmloseren Piccolo-Passage. Wird der Arbeiter-Feiertag damit parodiert oder als Fest des Pöbels ironisiert? Klar wird aus dem Instrumentarium, dass eine Festlichkeit in militärischem Stil im Gange ist.

    Noch im Allegro-Satz sind Vogelstimmen zu hören, während das Orchester in sinnloser Aktivität und gestampfter Fröhlichkeit eine Hymne anstimmt, aber in einem Schlagwerk-bewehrten Orchester-Unisono und zwei Tam-tam-Schlägen lautstark ausufert. Fortissimo-Tam-tam bedeutet bei Schostakowitsch meist, dass die schlimmst-mögliche Lösung erreicht ist. Die Largo-Überleitung zum abschliessenden Jubelchor stümpert mit unbeholfenen Fanfaren-Motiven. Die Streicher beteiligen sich im 3/4-Takt mit häufigen Aufwärts-Glissandi! Mit sieben stumpfen Marschtakten wird dem Jubelchor ein martialisches Ende aufgepfropft. Elisabeth Wilson sagt, dass Schostakowitsch die dritte Sinfonie mit dem Titel «Der erste Mai» gewählt habe, um zu zeigen, dass er mit dem politischen Titel auch den Forderungen des «sozialistischen Realismus» genügen konnte.[3] Die bissige Gesellschaftskritik in seiner ersten Oper «Die Nase» (1928) nach Gogol hatte negative Reaktionen hervorgerufen, obwohl sie sich vordergründig auf die Zarenzeit bezogen hat. Bei der dritten Sinfonie hat man sich damit beholfen, dass im Andante-Teil der Tonfall der Rede gehört werden konnte. Boris Assafjew stellte fest, dass diese Sinfonie wohl der einzige Versuch gewesen sei, die Sinfonik aus der Dynamik revolutionären Redens entstehen zu lassen.[4] Dies ermöglicht, den karikierenden Aspekten die falsche Richtung zu korrigieren, das heisst, dass man die Kritik in Richtung vorrevolutionärer Zustände auffassen kann, in keinem Fall als Kritik an den aktuellen Gegebenheiten. Bedenkt man aber, dass 1929 Schostakowitschs Studienfreund und Widmungsträger der ersten Sinfonie, Michail Kwadri, wegen «konterrevolutionärer Umtriebe» erschossen wurde[5], liegt es nahe, dass er als Kulturtäter schon den kalten Wind von Stalins neuer Kulturpolitik direkt zu spüren bekam und deshalb noch versuchte, Kritik an der Gegenwart musikalisch zu kaschieren. Das Spiel mit dem doppelten Boden hatte er schon in seiner Ballettmusik «Das goldene Zeitalter» praktizieren können.

    [1] Krzysztof Meyer: Schostakowitsch. Reclam Leipzig 1980, S. 76

    [2] Natalja Walerewna Lukjanowa: Dmitri Dmitrijewitsch Schostakowitsch. Berlin 1982, Seite 83

    [3] in einem Interview mit der taz 2020

    [4] Hans-Peter Müller: Orchesterbuch, VEB Leipzig 1974, S. 191

    [5] Solomon Volkov: Stalin und Schostakowitsch – Der Diktator und der Künstler. Propyläen 2004, Seite 110


  • Text von Semion Kirsanow (nach Partitur)

    Heute, am leuchtenden Maifest,
    hell unser Lied erschallt.
    Morgen, du Bote der Freiheit,
    röte mit Flammen den Wald.

    Früher, in düst’ren Jahren
    schritten wir scheu und bang,
    schwach unsere Stimmen waren
    und der Mailieder Klang.

    Raunen ging durch das Land
    Morgenrot hell entflammt.
    Jugend, du siehst die kommenden Tage
    gewaltig nahn. 

    Als der Winter noch graute,
    als man im Feld noch schoss,
    Arbeiterheer und Bauern
    stürmten des Zaren Schloss.

    Kühn war der Schritt getan,
    weiter führte unsere Bahn.
    Mai zieht mit uns im Sonnenschein,
    Fahnen gehen stolz voran.

    Mächtig und immer stärker
    wird der Grosse Plan zur Tat.
    Riesige neue Werke
    über der neuen Saat.

    Kohle, Getreide und Stahl,
    das ist ein neuer Strahl.
    Jugend, du siehst, die kommenden Tage
    zeigt uns der Mai.

    Arbeitend sich verteidigen
    ist unser Land bereit.
    Erde gehört den Arbeitern,
    ihnen gehört die Zeit.

    Höret uns, Proletarier,
    Werk und Maschine spricht:
    setzt nun in Brand die alte Zeit.
    Flamme gibt neues Licht.

    Fahnen des Maifestes hissend,
    singet, Genossen, mit;
    Völker! Zum Sozialismus
    ist jeder Mai ein Schritt.

    Zechen, marschiert einher,
    immer bereit zur Wehr!
    Feierlich durch die Städte
    hin wogt ein Millionenheer.

Der erste Mai

Dauer: 28 min

Anna Meyer

Genauso Grafik ist das Studio von Anna Meyer. Bei mir steht der Mensch im Mittelpunkt. Ich lege Wert auf individuelle Auftritte, klare Kommunikationskonzepte und zeitgemässes Webdesign.

Meine Stärken liegen im konzeptionellen, verständlichen und zielorientierten Gestalten, im Projektmanagement und in der Kommunikation mit Menschen. Seit 2010 führe ich mein Atelier im Herzen von Zürich.

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