Sinfonie Nr.14

OP. 135


UA 1969 Leningrad
Spezielle Besetzung: Sopran, Bass, Streichorchester (ohne Bläser) und reichhaltiges Schlagwerk
11 Sätze: De profundis (Adagio) — Malagueña (Allegretto) — Loreley (Allegro molto) — Der Selbstmörder (Adagio) — Auf Wacht (Allegretto) — Madame, sehen Sie (Adagio) — Im Kerker der Santé (Adagio) — Antwort der Saporoger Kosaken an den Sultan von Konstantinopel (Allegro) — O Delwig, Delwig (Andante) — Der Tod des Dichters (Largo) — Schlussstück (Moderato)
Texte von: Garcia Lorca [1—2], Apollinaire [3—8], Wilhelm Küchelbecker [9], Rainer Maria Rilke [10—11]

In diesem 11-teiligen Liederzyklus dominiert das Thema Tod. Immerhin aber wird im sechsten Lied gelacht und im achten frech gespottet, sonst aber bleibt der Tod bedrohlich. Die Texte sind von einem Spanier, einem Franzosen, einem Russen und einem Deutsch-Prager geschrieben worden.

Einleitung

  • In diesem 11-teiligen Liederzyklus dominiert das Thema Tod. Immerhin aber wird im sechsten Lied gelacht und im achten frech gespottet, sonst aber bleibt der Tod bedrohlich. Die Texte sind von einem Spanier, einem Franzosen, einem Russen und einem Deutsch-Prager geschrieben worden. Von einer Sopran- und einer Bassstimme werden sie gesungen. Das Orchester ist mit Streichern besetzt, Bläser fehlen, dafür ist das Schlagwerk stark, aber differenziert besetzt. Dies ermöglicht ein dem Tod angemessenes hartes Klangspektrum. Um den achten Gesang doppelt geniessen zu können, holen Sie sich auf dem Internet Ilja Repins Bild «Die Saporoger Kosaken schreiben dem türkischen Sultan einen Brief».


  • Dieses Werk mit seinen elf getexteten Liedern ist eher ein Liederzyklus; Schostakowitsch sprach aber schon zur Zeit der Planung eines neuen Werks von einer Sinfonie und schrieb später Es geht vermutlich nicht, es als Sinfonie zu bezeichnen. [1] Alle elf Lieder beschäftigen sich mit dem Tod, nur einmal wird gelacht (6) und ein andermal frech gespottet (8), sonst ist der Tod bedrohlich. Die Unsterblichkeit als Lohn für die Unverfänglichkeit des Geistes scheint doch einigen Trost zu versprechen (9), wenn wir die wortgetreue deutsche Übersetzung des Küchelbecker-Textes aus dem Russischen von Ulrike Patow beiziehen: Unsterblichkeit ist gleichsam Los der mutigen, beseelten Taten des wonniglichen Liedgesangs! Und so wird unser Bund nicht sterben, der freie, freudige und stolze! Sowohl im Glück als auch in schwerem Leid der Musen ewiger Lieblinge im Bund. Es ist aber der einzige Lichtblick in diesen Texten. Schostakowitsch hatte sie ausgewählt, nachdem er Mussorgskis «Lieder und Tänze des Todes» instrumentiert hatte und erklärte in der «Prawda»; Mein Wunsch ist es, dass der Hörer beim Nachsinnen über meine Sinfonie daran denkt, dass er verpflichtet ist, ehrlich und nutzbringend zu leben, zum Ruhme seines Volkes, seines Vaterlandes, zum Ruhme der besten fortschrittlichen Ideen, die unsere sozialistische Gesellschaft voranbringen. Ich möchte, dass die Hörer nach der Aufführung der Sinfonie mit dem Gedanken nach Hause gehen: Das Leben ist schön.[2] Das ist seine «offizielle Meinung», dies seine persönliche: Angst vor dem Tod ist vielleicht das stärkste Gefühl, das ein Mensch haben kann. … Für unsere Kunst (in der Sowjetunion) ist der Tod kein Thema. Und über den Tod zu schreiben, ist, als schneuze sich jemand in anständiger Gesellschaft in den Rockärmel. … Ich habe eine Reihe von Werken geschrieben, die meine Auffassung in dieser Frage spiegeln. Optimistisch sind diese Arbeiten nicht. Für die wichtigste halte ich hier meine Vierzehnte Sinfonie. [3]

    In einem anderen Zusammenhang gestand er: Ich verstehe, dass der Tod unumgänglich ist. Dies ist ein ganz normaler Vorgang der Natur. Aber ich protestiere dagegen. [4] Der Tod war tabuisiert und das Fehlen von Optimismus galt als Vergehen gegenüber dem Menschen in der Sowjet-Gesellschaft.

    Das Dies-irae-Signet beginnt und schliesst den Zyklus. Die Gruppierung in vier Teile mit «De Profundis» als einstimmender Einleitung ist in einem der Briefe an Glikman deutlich fixiert. [5] Der mit Kastagnetten begleitete spanische Tanz «Malagueña» enthält auch schon die musikalische Schlussformel mit der konzentrierten Beschleunigung der Achtel- bis zu den Zweiunddreissigstel-Noten innerhalb von zwei Takten. Im dritten und vierten Lied kulminieren ähnliche Gesten in einem Ton-Cluster. Das fünfte Lied «Auf Wacht» verwendet das Revolutionslied «Wütet nur, Tyrannen», welches er schon im vierten Satz der 11. Sinfonie eingesetzt hatte. Der «kleine Sturmsoldat» muss im Schützengraben sterben mit dem aufmüpfig-trockenen Rhythmusschlag von Xylofon und Tom-tom.

    Im sechsten Lied wird über das Herz gelacht – unbändig –, das an einen im Schützengraben Umgekommenen verloren worden war – Ja, so ist das Leben. Gleich anschliessend die Klage des im «Kerker der Santé» Gefolterten, der um seinen klaren Verstand bangt. Düster dahinschleichende tiefe Streicherfiguren, lähmendes Zwischenspiel mit kargen Klopfzeichen zur Verständigung zwischen den Zellen, dann Aufbegehren, Gewaltmotiv und zurück in die bedrückende Stille der völligen Isolation. Die Lieder 8 und 9 bilden den dritten Teil mit überdrehter Lustigkeit und höhnenden Verwünschungen der Saporoger Kosaken, lärmig adressiert an den Henkersknecht von Podolien, gefolgt von Fragen an den Freund zur Unsterblichkeit des Geistes, auf warm durchglühtem Streicherklang mit dreifach geteilten Celli, der so etwas wie Zuversicht verströmen kann. Das Rilke-Gedicht «Der Tod des Dichters» verwendet in zahlreichen Varianten das Dies-irae-Signet, auch in der Sopranstimme. Cello und Kontrabass bilden mit geteilten Stimmen das sonore Fundament. Holzblock und Kastagnetten signalisieren das kurze «Schlussstück», dem Rilke selbst im «Buch der Bilder» den Titel gegeben hat. Die berühmten Zeilen Wenn wir uns mitten im Leben meinen, wagt er – der Tod! – zu weinen mitten in uns, werden bis zum fff-Schrei gesteigert mit dem schon im zweiten Lied vorgeformten Crescendo-Schluss der Zweiunddreissigstel – das Notenbild eine Barrikade!


    [1] Dmitri Schostakowitsch: Briefe an einen Freund. Chaos statt Musik? Argon-Verlag Berlin 1995, Seite 272

    [2] Dmitri Schostakowitsch: Ein Vorwort zur Uraufführung (1969). In: Erfahrungen. Reclam Leipzig 1983, Seite 176-177

    [3] Solomon Volow: Zeugenaussage. Albrecht Knaus Verlag Hamburg 1979, Seite 200-201

    [4] Bernd Feuchtner/Rudolf Barschai: Leben in zwei Welten. Wolke-Verlag Hofheim 2015, S. 153

    [5] Dmitri Schostakowitsch: Briefe an einen Freund. Chaos statt Musik? Argon-Verlag Berlin 1995, Seite 275 (der Freund heisst Isaak D. Glikman)

11 Sätze

mit Sopran und Bass
Dauer: 48 min

Anna Meyer

Genauso Grafik ist das Studio von Anna Meyer. Bei mir steht der Mensch im Mittelpunkt. Ich lege Wert auf individuelle Auftritte, klare Kommunikationskonzepte und zeitgemässes Webdesign.

Meine Stärken liegen im konzeptionellen, verständlichen und zielorientierten Gestalten, im Projektmanagement und in der Kommunikation mit Menschen. Seit 2010 führe ich mein Atelier im Herzen von Zürich.

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