Sinfonie Nr.1

op.10

UA 1925 Leningrad
spezielle Besetzung: 20 Bläser — Klavier
4 Sätze:
AllegrettoAllegroLentoAllegro molto

seine erste Sinfonie hat Schostakowitsch im Alter von 17 während seiner Konservatoriumsjahre begonnen, zwei Jahre später fertiggestellt und als Abschlussarbeit eingereicht. Der Überraschungen sind viele, aber dass ein 19-Jähriger in seinem ersten grossen Werk Wagners «Schicksalsmotiv» aus der «Walküre» zitiert, das ja dort den Tod verkündet, ist gelinde gesagt merkwürdig.

 

Einleitung

  • Wenn sich der erst 19-jährige Komponist im ersten Satz an das Thema herantastet und im zweiten Thema auffällig kontrastierend mit einem Marschtakt und einer Walzermelodie weiterfährt, wird man sich auf weitere Gegensätze einstellen müssen und Abschied nehmen von der erwarteten Sonatenform.

    Was hat denn das Klavier im zweiten Satz einer Sinfonie verloren? Es ist eine weitere Überraschung, soll aber auch als Schlagzeug herhalten und damit seine spätromantische Aura einbüssen.

    Mit Trauermelodie, Tristan-Anklängen, einem «Schicksalsmotiv» und einem gut erkennbar angedeuteten Revolutionslied wird im dritten Satz der Zeitraum klanglich fixiert, aber keineswegs heroisiert. Nein, der langfädige Pianissimo-Schluss kehrt zu den Trauertakten des Anfangs zurück, stellt aber dann doch mit einem Crescendo-Trommelwirbel die Verbindung zum vierten Satz her.

    Hier ist man verunsichert, wenn nach dem Tristan-Zitat die bekannte Tonfolge der Todesverkündigung aus Wagners «Walküre» erklingt und im letzten Drittel nochmals das «Schicksalsmotiv» in der Solopauke, das wir im dritten Satz abwärts zielend kennengelernt haben; jetzt aber ist es aufwärts gerichtet. Die anderen vier Schlagzeuger werden dann noch für die letzten dreissig Takte aktiv.

  • Völlig überraschend im ersten Satz ist die mehrteilige Einleitung, worin sich ein Motiv variierend dem ersten Thema stufenweise nähert und es im Takt 58 lospreschen lässt. Das zweite Thema wirkt als starker Kontrast, weil es dem quirligen Vierviertel-Takt, der trotzdem marschartig wirkt, eine slawische Melodie in sanftem 3/4-Takt entgegensetzt. Überraschend im Eröffnungssatz einer Sinfonie einen burlesken Marsch und eine Walzermelodie anzutreffen! Zwei Abschnitte können als eine Art Durchführung und Reprise betrachtet werden, die sich aber nur mit dem ersten Thema beschäftigen und extrem brutal wirken. Es zeigt sich schon hier, dass bei Schostakowitsch jedes noch so harmlose Motiv in eine extreme Geste ausarten kann. Die Themen eins und zwei zielen zwar auf Sonatenform, erfüllen aber die konventionelle Erwartung an einen Sinfoniesatz nicht, sondern müssen sich in einer Art Durchführung und Reprise bewähren. Dies bezeugt Schostakowitschs individuellen Start in eine erstaunliche Komponisten-Karriere.

    Die Überraschung im zweiten Satz bietet das Klavier, welches einerseits sich mit virtuosen Kaskaden und einem aggressiven Ausbruch Gehör verschafft und andrerseits mit trocken gehämmerten Solo-Akkorden den Abschluss herbeizwingt. Im Mittelteil schafft wiederum eine slawische Melodie im 3/4-Takt ohne aber als Walzer wirksam zu werden, den Kontrast zum nervösen ersten Thema; sie erinnert eher an die Englischhorn-Melodie in Borodins «Steppenskizzen aus Mittelasien».

    Im dritten Satz dominiert eine langgezogene Oboen-Melodie im 4/4-Takt, die Trauermarsch-Charakter annimmt, aber mit Tristan-Zitaten und einem «Fanfaren»-Motiv angereichert wird, das mit seiner punktierten abwärtsgerichteten Geste dem Marschcharakter angepasst ist und von Koball als Schostakowitschs «Schicksals-Motiv» bezeichnet wird. Abgelöst wird die Trauermelodie durch zweimaligen Anklang an das Revolutionslied Vorwärts Genossen, im Gleichschritt [1], wird dann aber von der Violine in höchster Lage, vom Orchester unterstützt, nochmals intoniert, bevor das Revolutionslied ein drittes Mal erklingt und vom Schicksalsmotiv eingerahmt wird und leise verdämmert. Der Übergang zum vierten Satz wird völlig überraschend mit einem anschwellenden Trommelwirbel unterbruchlos bewerkstelligt, aber nach einem einzigen Takt in raschem Tempo wieder zurückgenommen und auf den Trauercharakter ausgerichtet. Das Tristan-Zitat, das gleich dreimal in dieser Einleitung erklingt, ist nicht das einzige satzübergreifende Element, denn das Schicksalsmotiv aus dem dritten Satz ertönt in der zweiten Satzhälfte mehrmals; jetzt aber ist es aufwärtsgerichtet und deutet neuen Optimismus an. Einigermassen verwirrlich wird es, wenn im ruhigen zweiten Thema ein neues Schicksalsmotiv auftaucht, das an die Todesverkündigung aus Wagners «Walküre» erinnert und vor Satzschluss noch jenem von Schostakowitsch vorangestellt wird. Das «optimistische» Schicksalsmotiv ist aber kurz zuvor dreimal von der Pauke solo vorgestellt worden. In der finalen Passage plustert es sich derart auf, dass die Schlusstakte, mit fünf Schlagzeugern besetzt, zum pompösen Kraftakt gerät; das Tam-tam aber ist nur mit zwei Schlägen zum Satzbeginn in Aktion gesetzt worden.

    Der 19-jährige Komponist zeigt sich hier «mit allen Wassern gewaschen», so dass es dann nicht erstaunt, wenn er schon zwei Jahre später mit seiner ersten Oper «Die Nase» nach Gogols gesellschaftskritischer Novelle mit Parodie, Groteske und beissendem Spott auf die Bühne tritt. Dass er aber dann Zitate in allen 15 Sinfonien verwenden wird und ihnen unterschiedliche Aussage-Kraft verleihen kann, war nicht vorauszusehen. Es hat auch lange gedauert, bis man in wissenschaftlichen Kreisen ihnen überhaupt Bedeutung zugebilligt hat. Bernd Feuchtner hat da als Erster mit seinem Buch «Und Kunst geknebelt von der groben Macht» schon 1986 auf solche Zusammenhänge hingewiesen. Michael Koball hat diesen Ansatz 1997 in seinem Buch «Pathos und Groteske» weiterverfolgt und auf neue Zitate hingewiesen.


    [1] Dieses Lied Smelo towarischtschi w nogu von Leonid Petrowitsch Radin wurde in der Revolutionszeit als Hymne benutzt und ist von Herrmann Scherchen, der es in russischer Gefangenschaft 1917 kennengelernt hatte, 1918 übersetzt worden: Brüder, zur Sonne, zur Freiheit. Es wird auch in der 11. Sinfonie zitiert.

    PS Michail Kvadri (1897–1929), dem die 1. Sinfonie gewidmet war, ist 1929 «wegen konterrevolutionärer Umtriebe» erschossen worden, denn schon 1928 hat sich die diktatorische Macht Stalins ausgewirkt. > Bernd Feuchtner: Not, List und Lust – Schostakowitsch in seinem Jahrhundert. wolke-Verlag Hofheim 2017, S. 79

Satz 1 — Allegretto

Dauer: 9 min


Satz 2 — Allegro

Dauer: 5 min


Satz 3 — Lento

Dauer: 10 min


Satz 4 — Allegro molto

Dauer: 10 min


Sätze 1—4

Dauer: 34 min

Anna Meyer

Genauso Grafik ist das Studio von Anna Meyer. Bei mir steht der Mensch im Mittelpunkt. Ich lege Wert auf individuelle Auftritte, klare Kommunikationskonzepte und zeitgemässes Webdesign.

Meine Stärken liegen im konzeptionellen, verständlichen und zielorientierten Gestalten, im Projektmanagement und in der Kommunikation mit Menschen. Seit 2010 führe ich mein Atelier im Herzen von Zürich.

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