Sinfonie Nr.8
op. 65
UA 1943 Moskau
Spezielle Besetzung: 25 Bläser, Xylofon
5 Sätze: Adagio — Allegretto — Allegro non troppo — Largo — Allegretto
Die achte Sinfonie hat Schostakowitsch selbst zu den Kriegssinfonien gezählt. Sie ist nach dem sowjetischen Sieg in Stalingrad über die sechste Armee der Deutschen (Februar 1943) entstanden, aber noch vor dem Ende der Belagerung Leningrads im Januar 1944 beendet worden.
Einleitung
-
Die Sinfonien sieben, acht und neun hat Schostakowitsch als seine Kriegssinfonien bezeichnet. Nachdem die vierte Sinfonie von 1935 noch nicht aufgeführt werden konnte, welche die Schrecken der frühen Stalinzeit geschildert hatte, übernahm Schostakowitsch einige neuartige Elemente in diese achte Sinfonie – diese waren vor allem brutal: abgerissene Töne und Akkorde, bis zur Explosion getriebene Lautstärke-Exzesse, die ich als «Crescendo-Mauern» bezeichne, und Partien mit schier endlosen Taktwechseln, die Orientierungslosigkeit oder totale Verunsicherung vermitteln. Im dritten Satz werden die 500 Takte sechs Minuten lang im 4/4-Takt stur durchgehämmert – ein solcher Terror musste irgendwie durchgestanden werden. Diese fünfsätzige Sinfonie endet in einem trostlosen C-Dur-Klang
-
Die achte Sinfonie hat Schostakowitsch selbst zu den Kriegssinfonien gezählt. Sie ist nach dem sowjetischen Sieg in Stalingrad über die sechste Armee der Deutschen (Februar 1943) entstanden, aber noch vor dem Ende der Belagerung Leningrads im Januar 1944 beendet worden. Nicht den Sieg thematisiert die Sinfonie, sondern die Leiden der Menschen in diesen Schreckensjahren. Und da die vierte Sinfonie von 1935, in der Schostakowitsch die ebenso schreckliche Zeit unter Stalins früher Herrschaft geschildert hatte, bis 1961 nicht aufgeführt werden konnte, hat er verschiedene Elemente daraus in die Sinfonien fünf bis neun hinübergerettet. In die Achte hat er die brutalen Elemente übernommen, am auffälligsten das, was ich mit «Crescendo-Mauern» bezeichne, eine Reihe von abgerissenen Klangsteigerungen, die wie Barrieren wirken und meist in völliger Orientierungs- oder Hoffnungslosigkeit einer isoliert wirkenden Solomelodie ausklingen. Das Vorbild für die «Crescendo-Mauer» kann in Gustav Mahlers erster Sinfonie oder auch in Beethovens «Eroica» gehört werden. Schostakowitsch hatte dies erstmals in der vierten Sinfonie verwendet. Die 8. Sinfonie beginnt wie die siebente «brucknerisch», das heisst wie eine Sinfonie von Anton Bruckner, der oft mit solch schwerer Geste anhebt. Daran schliesst das zweite Thema, das im ungewohnten 5/4-Takt eine Tonfolge von sieben Takten in der Oberstimme mehrmals einsetzt, aber viermal verändert. Nach dem aggressiven Mittelteil folgen drei neue Varianten. Die Partien mit häufigen Taktwechseln (TW) stehen für Zeiten von Orientierungslosigkeit oder Verunsicherung.
Im zweiten Satz beherrscht ein einfaches Rhythmus-Motiv weite Teile, und in Kombination mit auffällig abgerissenen Tönen erinnert es an den deutschen Foxtrott «Rosamunde». Darauf verwies schon 1980 der polnische Schostakowitsch-Biograf Krzysztof Meyer. Zur Vorgeschichte: 1927 hat Jaromir Vejvanovsky den tschechischen Schlager «Škoda lásky» (Schade um die Liebe) komponiert, dessen Melodie 1934 mit deutschem Text unter dem Titel «Rosamunde» populär wurde. In den USA wurde das tschechische Lied unter dem Titel «Beer Barrell Polka» bekannt.
Die abgerissenen Töne aber hat Schostakowitsch auch aus der vierten Sinfonie übernommen, ebenso hat die Piccoloflöte schon dort Vogelstimmen imitiert. Hier in der Achten pfeift sie so eifrig und reisst die Töne ebenso herunter, dass man meinen könnte, sie würde die Rosamunde kennen. Sie wird aber von derbem Stampfen übertönt, das sich rasch zur aggressivsten Form des Rhythmusmotivs wandelt. Wie der Durchgang eines Schlägertrupps wirkt dieses Gestampfe, wenn es sich nach und nach abbaut und sich die Vogelstimme nochmals vernehmen lässt, bevor die Szene in einem grässlichen Schrei sfff endet.
Den dritten Satz – die «Toccata» - könnte man auch als lustigen Kontrast mit perpetuum mobile-Charakter entgegennehmen, wenn nur nicht der Vierertakt erbarmungslos 500 Takte lang durchgehämmert würde. Das aber entspricht der «Toccata» bestens. Der Name leitet sich vom italienischen Wort «toccare» her, was «schlagen» heisst. Und dies bestätigt nun die angestrebte Dominanz des Rhythmus, die sich in den ersten beiden Sätzen ansatzweise gezeigt hat. Diese 500 in ununterbrochenem Viererschlag stur durchgehaltenen Takte sind schwer zu ertragen, manche Akkorde wirken wie Schwerthiebe, das Abreissen und die Paukenschläge gehen an die Schmerzgrenze. Damit hat Schostakowitsch den menschenverachtenden Terror der Stalinzeit akustisch rücksichtslos umgesetzt. Erstaunlich aber ist es doch, dass in diesem simplen Rhythmusmodell verschiedene Varianten einige Abwechslung bringen: mal sind es die Streichinstrumente allein, mal im dauernden Wechsel mit Bläsern. Und im fünften Abschnitt wird die Solotrompete mit einem deftigen «Beat» unterlegt, so dass wir uns im Klangbereich einer Big-Band wähnen könnten. Zum Satzschluss übernehmen die Timpani (die Pauken) den Viererschlag; er endet wie der zweite Satz mit einem Schrei, der aber zum sffff gesteigert wird und mit einem Trommelwirbel unterbruchlos in den vierten Satz übergeht. Dieser Übergang bildet die zweite «Crescendo-Mauer».
Und hier folgt eine Passacaglia, deren Tonfolge zwölf Mal verwendet wird und mit ihren punktierten Noten an den Beginn der Sinfonie erinnert. «Durch die immerwährende Wiederholung … hat die Passacaglia einen statischen Charakter und den Ausdruck der Unabänderlichkeit bis zum Schicksalhaften».[1] Auffällig sind hier die vier Flöten mit ihrem «frullato» im achten Durchgang; das ist eine Blastechnik, welche mit dem rollenden «r» einen flirrenden, beinah immateriellen Ton erzeugen kann. Auch der durch die Klarinetten imitierte Glockenklang mit einem Pendeln zwischen zwei naheliegenden Tönen ist nicht alltäglich. Und wieder heisst es «attacca», also ohne Unterbruch zum fünften Satz, hier mit einem liegenden Klang und einem vom Fagott solistisch eingesetzten Motiv. Diese unscheinbare Drei-Tonfolge prägt den ganzen Finalsatz und wird am Schluss nochmals vom Kontrabass gespielt, nachdem die dritte «Crescendo-Mauer» erneut an die Schrecken des Krieges erinnert hat und in einem eher traurig gestimmten Abgesang endet. Der Abschnitt mit den häufigen Taktwechseln (TW) deutet wiederum die Verunsicherung in dieser brutalen Steigerung an. Die Flöte mit der Vogelstimme, die noch im ersten Satzteil fröhlich geträllert hat, ist im Abgesang beinah verstummt, «senza animando» (ohne lebendige Anteilnahme) setzt sie ein paar Einzeltöne, ein hoher Klang bleibt in den letzten 34 Takten hängen und endet «morendo» - sterbend. In dieser dritten «Crescendo-Mauer» sind erstmals die Töne D-Es-C-H aus Dmitri Schostakowitsch zu hören - in den Trompeten und Posaunen. Das ist sein persönlicher Code, den er noch in manchen Werken einsetzen wird.
[1] Bernd Feuchtner: Dmitri Schostakowitsch – Und Kunst geknebelt von der groben Macht. Bärenreiter/Metzler, Kassel 2002, 150
Satz 1 — Adagio
Dauer: 28 min
Satz 2 — Allegretto
Dauer: 6 min
Krzysztof Meyer hat in seiner Schostakowitsch-Biografie, die 1980 in Leipzig erschienen ist, auf dieses «Zitat» hingewiesen: Sichtlich zu programmatischem Zweck bediente sich der Komponist hier eines Themas, das eine Paraphrase des deutschen Foxtrotts «Rosamunde» ist, hier als ironische Parodie behandelt. Mit der populären Melodie hat Schostakowitsch damit wenigstens eine der Forderungen des «sozialistischen Realismus» erfüllt.